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Muggaseggl = 0,22 Millimeter
,,Im
Schwäbischen begegnet man immer wieder extremen Verkleinerungsformen
wie Muggaseggele",
hat Reinhold Klett aus Tübingen
festgestellt.
Das Muggaseggele ist in der Tat eine Verkleinerungsform,
nämlich
die von Muggaseggl. Der ist, egal ob mit oder ohne -le, die kleinste
schwäbische Maßeinheit. Doch wie lässt die sich im metrischen System
einordnen?
Dazu muss man zuerst wissen,
was ein
Muggaseggl ist. Die Übersetzung jenes Wortes ins Schriftdeutsche
lautet Muckensäckel. Mit Muck(e) meinen die Schwaben jedoch nicht die
Mücke, sondern die Fliege. Und der Seggl, der im Schwäbischen
Wörterbuch Säckel geschrieben wird, ist dort als ,,männliches Glied"
definiert, weshalb das beliebte landesübliche Schimpfwort Seggl auch
ausschließlich Angehörigen des männlichen Geschlechts vorbehalten ist.
Somit ist klar: Der Muggaseggl ist das Fortpflanzungsorgan
des
Fliegenmännchens. Die Entomologen - das sind die Insektenforscher -
verwenden dafür den wissenschaftlichen Begriff ,,Aedeagus". Dessen
Größe schwankt freilich von Fliegenart zu Fliegenart und fällt mithin
bei der Fruchtfliege ungleich schmächtiger aus als im Falle der
Schmeißfliege.
Also muss, um die Dimension des
Muggaseggls zu ermitteln, erst klar sein, mit welcher Spezies der
Schwabe den Begriff Mugg verbindet. Das ist gemeinhin die Stubenfliege
mit etwa sieben Millimeter Körperlänge. Ihren Aedeagus hat der
Entomologe Dr. Hans-Peter Tschorsnig vom Stuttgarter Naturkundemuseum
auf Anfrage nachgemessen. Und dank dieser Untersuchung kann die bislang
recht vage Maßangabe Muggaseggl endlich präzisiert werden auf einen
Durchschnittswert von 0,22 Millimeter!

Wer diese Angabe überprüfen will, wird jedoch gewisse
Schwierigkeiten haben. Denn das edelste Teil des
Stubenfliegen-Männchens entzieht sich der direkten Beobachtung, da es,
wie Tschorsnig mitteilt, von einem Komplex aus weiteren Teilen umgeben
ist, der eine Art Zangenfunktion zum Festhalten der weiblichen
Legeröhre hat.
Zum Grundwissen über den Muggaseggl der Stubenfliege gehört
ferner, dass er ein basal rohrförmiges und im Spitzendrittel eher
schlauchartiges, weichhäutiges Gebilde ist. Ein Gelenk verbindet ihn an
der Basis mit einem besonderen ,,Stellhebel"(Phallapodem), an dem
kräftige Muskeln ansetzen, um ihn bewegen zu können. Links und rechts
daneben befinden sich noch je ein Paar Haken.
Dieser merkwürdige Mechanismus erklärt sich aus dem etwas komplizierten
Begattungsvorgang, der erstmals anno 1738 von dem französischen
Naturforscher Rene´-Antoine Ferchault de Reáumur (1683 - 1757)
beschrieben wurde und dessen Einzelheiten in Grzimeks Tierleben
ausführlich aufgeführt sind. Sie hier wiederzugeben, ist leider nicht
möglich, da der Artikel sonst um schätzungsweise 473 Muggaseggl zu lang
würde.
Henning
Petershagen
Süddeutsche
Heimat Zeitung
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